Ein Verein wird 160 Jahre alt.

Aus der Festschrift zum 160-jährigen Bestehen aus dem Jahr 2006:

Neben der fast 470 Jahre alten Schützengilde ist der MGV Liedertafel Twiste der zweitälteste Verein in Twiste, der während seines 160-jährigen Bestehens eine entscheidende und prägende Rolle im dörflichen Gemeinschaftsleben gespielt hat. Seit dem Jahr 1922 besteht der MGV Einigkeit in unserem Dorf. Während der ältere Chor mehr der konservativen Richtung jener Zeit zugewandt war, stand der jüngere mehr der sozialen, demokratischen Ausrichtung jener Zeit näher. Jedoch war für beide Chöre oberstes Vereinsziel, Pflege der Gemeinschaft und des Chorgesangs. Neben diesen beiden Chören gründete sich 1979 der DRK-Frauenchor und im Jahr 2000 der Kinderchor „Die Twistetaler Tonhöppers“. Alle diese Gesangsgruppen machen deutlich, wie gern in Twiste in gemeinschaftlicher Runde gesungen wird. 

Der MGV im Jahr 2006

Vor über 160 Jahren entwickelte sich, ausgehend von den größeren Städten, auch in den ländlichen Gebieten die volkstümliche Sangespflege. Diese Sangespflege führte überall im Lande zur Gründung von Gesangvereinen. In Waldeck kam es erst um 1840 zur Bildung von Gesangvereinen und zwar zunächst in Arolsen, Mengeringhausen und Korbach.
Dem Lehrer Karl Klein wurde damals die zweite Lehrstelle in Twiste übertragen. Dazu kann man in der Schulchronik vom 18. September 1846 nachlesen: „Herr Klein gewinnt durch Privatunterricht und durch die von ihm errichtete Liedertafel immer mehr die Zuneigung der Gemeinde.“ Dieser Vermerk in der Schulchronik dürfte die Geburtsstunde des Vereins sein.

Über die ersten Jahrzehnte sind leider keine schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden.

„An den ersten so genannten Bundessingen des Waldeckischen Liederbundes, das 1854 in Arolsen stattfand, nahmen die Twister Sänger bereits erfolgreich Teil. Gelegentlich des 20-jährigen Jubiläums des Pfarrers und Superintendenten Esau in Twiste, am 1. April 1880, sangen sie unter dem Dirigenten Caccia, im beisein des Fürstenpaares zwei schöne Lieder.“

Anscheinend ruhte in den Jahren danach das Gesangsleben in Twiste und der Verein geriet in Vergessenheit; denn in der ältesten noch vorhandenen Aufzeichnung vom 14. November 1891 – Protokoll, die Gründung des Männergesangvereins Twiste betreffend – heißt es: „Zur Gründung des Männergesangvereins hatten sich am vorgenannten Tage 14 Personen im hiesigen Schullokale eingefunden und zwar W. Bieker, W. Isenberg,
H. Schmidt, K. Bitter, Fr. Butterweck, Wilh. Schmidt, L. Butterweck,
Fr. Jäger, A. Wilke, Ch. Kerkmann, I. Isenberg, A. Emde, H. Reuter und Karl Isenberg. Angemeldet, aber nicht erschienen, waren Karl Kerkmann,
W. Kamm, Chr. Kaufmann und L. Reich. Die aus den sogenannten Personen bestehende Versammlung beschloß die von Lehrer Stephan entworfenen Statuten, in der alle Anwesenden ihren Beitritt erklärten und dies durch die eigene Unterschrift der genannten Statuten bekundeten. Lehrer Stephan wurde zum Dirigenten benannt, der dieses Amt unentgeldlich übernimmt und daher von Beiträgen befreit bleiben soll. Es wurde dann aufgrund des §4 der Statuten zur Wahl zweier weiterer Vorstandsmitglieder, eines Vorsitzenden und eines Cassierers, geschritten. Aus der Wahl gingen als Vorsitzender das Mitglied W. Bieker und als Cassierer das Mitglied W. Isenberg hervor.“

Diese am 14. November 1891 erfolgte „Gründung des Männergesangvereins“ war nach einem jahrelangen Ruhen in Wirklichkeit nur ein Wiederaufleben der Liedertafel. Der §1 der an diesem Tag beschlossenen Satzung lautet: „Der Verein bezweckt durch Pflege des Gesanges und gesellige Zusammenkünfte die Vaterlands- und Bruderliebe sowie überhaupt alle edlen Gesinnungen zu heben und zu fördern.“ 

Das erste große Sängerfest wurde am 29. und 30. Mai 1904 gefeiert, verbunden mit der Weihe einer Fahne, die 220 Mark kostete. Erst am 24. Februar 1912 wurde ein Protokollbuch angelegt.
Während der beiden Weltkriege kam das Gesangsleben vollständig zum erliegen, lebte aber nach der Beendigung sofort wieder auf.
Nachdem im 1955 das Gründungsjahr (1846) urkundlich festgelegt worden war, wurde 1956 – nicht wie vorgesehen das 65-jährige – sondern das 110-jährige Vereinsjubiläum mit einem großen Sängerfest gefeiert.

Ein besonderer Tag in der Vereinsgeschichte war der 27. Mai 1957. An diesem Tag wurde dem Verein durch den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss in feierlicher Form die Zelter-Plakette überreicht. Mit dieser Auszeichnung wurden die Gesangvereine geehrt, die mehr als 100 Jahre alt waren. 

Der MGV im Jahr 1971

Im Laufe des 160-jährigen Bestehens sind vor allem in den Jubiläumsjahren Sängerfeste und besondere Konzertveranstaltungen durchgeführt worden, so z.B. 1931, 1951, 1956, 1966, 1971, 1976 oder 1986.
In der Zeit der wirtschaftlichen Gesundung nach dem zweiten Weltkrieg erwachte das Interesse der Völker Europas in breiten Schichten füreinander.
So wurden über holländische Feriengäste Kontakte zu dem Männergesangverein „Inter-Nos“ Groenlo (Holland) geknüpft. Als die Liedertafel 1986 ihr 140-jähriges Jubiläum feierte, brachte eine Abordnung dieses Männerchores den Blumenschmuck zum Fest aus Holland mit.
Diese 140. Geburtstagsfeier war ein Zeugnis davon, wie die „alte Liedertafel“ ihre musikalisch kulturelle Aufgabe verantwortungsbewusst gegenüber Vergangenheit und Gegenwart sieht und zu erfüllen bestrebt ist. Das Festkonzert am 23. Mai war wiederum der Höhepunkt der Festtage. Unser Dirigent Bernd Stallmann, auch ein Sohn unseres Dorfes, hatte an diesem Abend ein besonders anspruchsvolles Programm zusammengestellt. Es zeigte einmal mehr, dass Twiste das Prädikat „Das singende Dorf“ zu Recht trägt. An diesem Abend wurde dem Jubiläumsverein die Ehrenmedaille des hessischen Ministerpräsidenten verliehen. In der Laudatio dazu hieß es, die Liedertafel habe in Twiste die Liebe zum Chorgesang geweckt und vertieft, das Volkslied lebendig gehalten und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürger gestärkt.

Im Herbst 1989 gab es große Veränderungen in Deutschland. Der west- und östliche Teil unseres Vaterlandes, nach dem Krieg durch Mauer und Stacheldraht voneinander getrennt, wurde wiedervereint. Die Neugier nach der Grenzöffnung war natürlich groß. Mit dem Frauenchor Rammenau, im landschaftlich schönen Sachsen gelegen, entwickelte sich eine herzliche Freundschaft. Unser Sangesbruder Rainer Zenker war hier der Initiator dieser sängerischen Bekanntschaft.
Im Jahr 1990 musste die Liedertafel zum Jahresende das Vereinslokal „Leyhen Saal“ räumen. Hier hatten wir jahrzehntelang gesungen und mussten uns nun einen neuen Probenraum, eine neue Heimat suchen. Wir fanden ihn im Gemeinschaftsraum unserer Mehrzweckhalle.
Besonders traurig waren wir, als wir in diesem Jahr neun unserer treusten Sänger zu Grabe tragen mussten. Sie hinterließen eine große Lücke in unserem Verein.
Waren wir 1986 noch mit 40 Sängern aktiv, so hatte unser Chor Ende des Jahres 1990 nur noch 28 aktive Sänger.

Die Liedertafel hat dank dem Wagemut ihres Dirigenten versucht, sich und ihren Zuhörern Musik in einem größeren Spektrum darzubieten. Wichtig ist dabei, dem Zuhörer stets etwas Besonderes zu bieten. Um dieses weiterhin durchführen und den Erwartungen gerecht zu werden, beschlossen die beiden Twister Männerchöre 1995, gemeinsam zu proben und gemeinsam aufzutreten. 

Beim Kirchenkonzert in Tann/Röhn, dem Bezirkssingen in Mengeringhausen und dem Kirchenkonzert des Waldeckischen Sängerbundes in der Korbacher Kilianskirche hatten wir gemeinsam erste große Erfolge aufzuweisen. 

Vom 7.–9. Juni 1996 feierte die Liedertafel ihren 150. Geburtstag mit einem großen Festkonzert. Zu Gast war der vom Fernsehen bekannte Gunter Emmerlich. Die Sänger beider Chöre hatten sich lange auf diese Jubiläum vorbereitet. Die Festtage waren ein voller Erfolg. Es hatte sich gezeigt, dass nur ein in ausreichend starker Besetzung auftretender Chor anspruchsvolle Chorsätze gut vortragen kann. Leider hatte in den vergangenen Jahren der Tod älterer Sänger immer wieder Lücken in den Reihen beider Vereine hinterlassen. Junge Sänger fehlten. Zwar hatten die Vorstände beider Vereine mehrfach mit ideenreichen Werbeaktionen versucht, junge Leute für den Chorgesang zu gewinnen. Leider ohne Erfolg. Für beide Männerchöre konnte daher ein erfolgversprechendes Weitersingen nur in einer Fusion bestehen.

Es soll nicht geleugnet werden, dass dieser Weg für einige Sänger ein sehr schwieriger Weg war. Jeder der Männerchöre hatte eine lange Tradition und oft schwere Zeiten zu bestehen.

Im Angesicht der zu erwartenden Fusion feierte der MGV „Einigkeit“ vom 17. bis 19. Oktober 1997 sein 75-jähriges Bestehen. Ähnlich wie bei der Geburtstagfeier der Liedertafel haben sich beide Männerchöre gegenseitig bei den Vorbereitungen dieser Festtage unterstützt. Auch diese Festtage waren ein voller Erfolg. Durch die gemeinsamen Proben und Auftritte ermutigt, begann man in den Vorständen beider Vereine einen Weg zu einer Fusion zu suchen. Im Herbst bzw. Winter 1998 wurde in jeweils getrennten Generalversammlungen über eine Fusion beider Vereine beraten. Beide Versammlungen beschlossen einmütig einen Zusammenschluss. Der 29. Januar 1999 wurde als Tag für eine gemeinsame Generalversammlung festgesetzt. In der Versammlung wurde aus den zwei traditionsreichen Twister Männerchören ein Chor unter dem Namen „MGV Liedertafel 1846
Einigkeit 1922 Twiste e.V.“ Die Geschichte beider Vereine findet sich in einem neuen Namen wieder. Wie üblich gibt sich der Verein eine neue Satzung und strebt die Eintragung in das Vereinsregister an. Für den Verein wird ein neues Protokollbuch angelegt. Zu feierlichen Anlässen werden die beiden alten traditionsreichen Fahnen zusammengetragen. Die Einmütigkeit aller Mitglieder gibt Hoffnung für ein zeitweiliges Fortbestehen des Männergesangs in Twiste. 

Besondere Höhepunkte des Vereins sind die im zweijährigen Rhythmus stattfindenden Adventskonzerte. Volkstümliche und klassische Weisen gehören ebenso wie kirchliche Lieder und moderne Töne zu unserem Programm. Der heimische Frauenchor, die Twistetaler Tonhöppers und befreundete Chöre unterstützen uns mit ihren Auftritten. 

Bei alle Auftritten und Vorstellungen fand unser Chor Beachtung und Anerkennung. Dafür sind wir unserem Chorleiter Bernd Stallmann besonders dankbar. Bernd Stallmann ist seit 1984 unser Dirigent. Er versteht es ausgezeichnet, Tradition und Moderne miteinander zu verbinden und uns Sänger immer wieder neu zu motivieren. 

In jüngster Zeit singen wir mit viel Erfolg von ihm selbst verfasste Chorsätze. 

Am 26. Februar 2005 fand in der Twister Mehrzweckhalle ein Stimmbildungsseminar des Waldeckischen Sängerbundes mit vielen Sängerinnen und Sängern aus dem ganzen Kreisgebiet statt. Zum Abschluss dieser Veranstaltung versammelten sich alle Teilnehmer abends zu einem Abschlusssingen in der Twister Kirche. Dadurch haben viele Besucher zum ersten Mal den Innenraum unserer über 900 Jahre alten Kirche gesehen und waren sehr beeindruckt.

Der Chorgesang hat in Twiste eine lange Tradition. Im Laufe der Zeit hat sich in unseren Dörfern und Vereinen viel verändert. Werte, die sehr lange Bestand hatten, werden heute oft schnell in Frage gestellt. Traditionen und Moderne zu vereinen ist oft ein schwieriger Weg. Unsere 160 Jahre alte Liedertafel hat eine wechselvolle Geschichte. Der Verein ist für viele Sänger-generationen Heimat gewesen. Wir Sänger wollen versuchen diesen Weg zu gehen, mit dem Ziel Chorgesang und Gemeinschaft zu pflegen, uns und anderen zur Freude. Getreu dem Satz, den uns die Geschichte lehrt: „Nur der Wandel ist beständig.“

Mit Stolz kann die Liedertafel auf ihre 160-jährige Geschichte zurück-blicken, denn die kulturelle und gemeinschaftsbildende Funktion des Vereins ist bis auf den heutigen Tag für das dörfliche Leben von entscheidender Bedeutung gewesen.

Ausarbeitung und Zusammenstellung nach alten, im Vereinsbesitz befindlichen Akten und Schriftstücken, sowie Ausarbeitungen von August Dörrie und Fritz Saure.

Twistetal-Twiste, im September 2006

Die Vorsitzenden

1846 – 1890 unbekannt
1890 – 1912 W. Bieker, W. Wallis, Fr. Butterweck, A. Dörrie
1912 – 1919 Heinrich Witte
1919 – 1922 Wilhelm Reuter
1922 – 1923 Fritz Kaufmann
1923 – 1924 Heinrich Syring
1924 – 1929 Fritz Kaufmann
1929 – 1933 Wilhelm Reuter
1933 – 1936 Fritz Scheele
1936 – 1945 Ludwig Fischer
1945 – 1950 Heinrich Rest
1950 – 1967 Ludwig Fischer
1967 – 1973 Karl-Otto Murk
1973 – 1977 Fritz Huhn
1977 – 1992 Helmut Brücher
seit 1992 Bernd Reuter

Die Dirigenten
1846 – 1858 Lehrer Klein
1862 – 1890 Lehrer Caccia
1891 – 1901 Lehrer Stephan
1901 – 1904 Lehrer Stephan und Welteke
1904 – 1906 Lehrer Stephan
1907 – 1909 Lehrer Lübcke
1909 – 1921 Otto Funke
1921 – 1925 Lehrer Weidemann
1925 – 1955 Otto Funke
1956 – 1971 Kurt Garbisch
1972 – 1975 Rainer Dyck
1975 – 1979 Karl Schimmel
1979 – 1981 Heinrich Viering
1981 – 1983 Karl Schimmel
1983 – Friedhelm Flamme
1984 – 2019 Bernd Stallmann (ab 2019 „Ehrenchorleiter“)
2019 – Marvin Putzki

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